auf imaginärer Linie gehen
Eben sind tausend Regentropfen auf mich gefallen. Auf die Haare, in mein Gesicht, sie tropften an meinem Kinn herunter und haben Hals und Pullover genetzt. Ich spürte die Kälte auf meiner nassen Haut und bin doch heiter gestimmt.
Frohlockend sozusagen, bin ich mit dem Velo vom Jahres-Gesundheits-Check heimgekehrt. Mit lauter guten Ergebnissen. Nein, nicht dass mich Schmerzen zur Frau Doktor geführt hätten. Es war diese leicht demütigende Aufforderung vom Strassen-Verkehrsamt, welche befehligte, meine Verkehrstüchtigkeit bedürfe nun der amtlichen Beglaubigung. Fahreignungstest für Senioren, so heisst diese Prüfung. Ich musste auf einer imaginären Linie durch das Sprechzimmer gehen, mit geschlossenen Augen kurz auf einem Bein stehen und die aktuelle Leistungsfähigkeit meiner Augen unter Beweis stellen.
Die kognitiven Fähigkeiten prüften sich an einfachen Multiplikationen und sogar meinen Namen wusste ich richtig zu benennen. Sichtbare psychische Probleme liessen sich keine ausmachen- in diesem Bereich konnte ich dem Amt wohl ein Schnippchen schlagen.
So bin ich also für zwei weitere Jahre als geringes Sicherheitsrisiko befunden und darf weiter sorgsam auf unseren teuren Strassen rollen. Sagt ein Geisterfahrerin ganz empört zum Polizisten: „Was heisst hier falsche Richtung? Sie wissen doch überhaupt nicht, wohin ich wollte!“